Haushaltsrede 2024

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich darf heute für unsere verhinderte Fraktionssprecherin Ingeborg Gekle-Maier einspringen.

Schwierige Zeiten

Schwierige Zeiten. Unfassbar, dass in Europa wieder ein Krieg tobt – um Grenzen zu verschieben. Und es beklemmt, dass freiheitliche Demokratien auch in unserem Land und leider auch im weltoffenen Rottweil unter Druck geraten. Das allmontägliche Getrommel im Herzen unserer Stadt schmerzt nicht nur die Ohren. Auch die Vernunft. Die meisten Akteure wollen nicht Probleme lösen. Sie schüren Wut. Machen unsere Demokratie verächtlich. Es ist an der Zeit, die Demokratie beherzt zu verteidigen. Das Obere Soolbad, das wir mit Haushaltsmitteln fördern, möge ein bürgerschaftliches Haus der Demokratie werden.

Diese Zeitenwende spiegelt sich auch in unserem Haushalt: 2024 haben wir noch ein vergleichsweise fettes Jahr. Ab 2026 kommen magere Jahre, in denen die Krisen sich ins Zahlenwerk fressen.

Ein Haushaltsplan ist der in Zahlen gegossene politische Wille eines Jahres. Es gehört zur demokratischen Kultur, dass jede Fraktion ihre eigenen Duftmarken setzt. Ich möchte an einigen Beispielen skizzieren, wo wir uns im Haushalt wiederfinden und was wir vermissen.

Zum Klimaschutz

Die Stadt ist aus dem European Energy Award (eea) ausgestiegen. Mangels Kapazitäten. Schade, denn der eea entwarf handfeste energiepolitische Arbeitsprogramme. Wir hoffen, dass die endlich eingeplante Stelle eines Klimaschutz-Managers diese Lücke schließt. Mit einer kompetenten Persönlichkeit. Nur dann wird diese Stelle Motor und Motivator im praktischen Klimaschutz.

Im vergangenen Jahr hat unsere Fraktion die kommunale Wärmeplanung in die öffentliche Diskussion gebracht und mit der Forderung nach einem Nahwärmenetz in der historischen Innenstadt konkretisiert. Wir warten gespannt auf die anstehenden Ergebnisse dieser Wärmeplanung. Es sieht übrigens gut aus, dass Berlin Energy Sharing ermöglicht. Dann können Innenstadtbewohner günstigen Ökostrom von eigenen Solaranlagen außerhalb ihres Dachs erzeugen, nutzen, teilen.

Unser Leitbild lautet „Solarstadt Rottweil“. Viel zu tun. PV-Anlagen müssen neben Dächern, Fassaden, Parkplätzen auch auf Freiflächen entstehen. Idealerweise solche mit Doppelnutzen: Ernte von Sonnenstrom und landwirtschaftlichen Produkten. Es braucht auch Windkraftanlagen. Der Regionalverband hat soeben auf der Gemarkung Rottweil Vorranggebiete ausgemacht. Ja, das verändert das Landschaftsbild und greift vor Ort in Ökosysteme ein. Das mag weh tun. Man sollte aber bedenken: Rechtlich liegen Erneuerbare Energien „im überragenden öffentlichen Interesse“. Und der Klimawandel ist der GAU für den globalen Naturhaushalt. Unsere Lebensgrundlage. Natürlich retten wir das Weltklima nicht in Rottweil, aber wir sind ein Mosaiksteinchen in weltweiten Anstrengungen.

Zur Artenvielfalt

An verschiedenen Stellen finden sich im Haushalt Positionen, die der Artenvielfalt dienen. Herausragend sicherlich alles, was mit der Revitalisierung des Neckars im Rahmen der Landesgartenschau zusammenhängt. Wir wünschen uns, dass wir dort eine Wasserqualität anstreben, in der nicht nur Flora und Fauna gedeihen, sondern auch Menschen ohne gesundheitliche Risiken plantschen können. Eigentlich doch selbstverständlich.

Bei der Beratung zum Forsthaushalt haben Sie gesehen, dass wir einen etwas anderen Blick auf den Stadtwald werfen als das Forstamt. Natürlich unterstellen wir diesem nicht, dass es im Wald nur ungesägte Bretter sieht. Ja, Wald ist auch Wirtschaftswald. V.a. aber ist er unschätzbar wertvoll im Ökosystem. Er kühlt, speichert Wasser, schützt Böden. Und seine Biomasse schluckt Treibhausgas. Unser Stadtwald ist bisher nach dem PEFC-Label zertifiziert. Wir wünschen uns die schärfere FSC-Zertifizierung, die Umweltverbände favorisieren. Standard längst im Staatswald des Landes.

Zur Mobilität

Unsere Fraktion steht zum mutigen Verkehrsversuch. Der soll herausfinden, wie wir unsere Innenstadt am besten von Lärm, Staus, Abgasen entlasten und so zum Aufenthalt einladen. Es geht aber auch um Respekt für die Schönheit unseres einzigartigen Stadtbilds. Wir beleben den Neckar und parallel unsere Innenstadt: Nachts leuchtet mehr Licht hinter Fenstern. Wohnen, Handel, Gewerbe, Kultur regen sich gegenseitig an. Auf der Basis einer modernen technischen und energetischen Infrastruktur. Dem stimmen fast alle zu. Doch geht’s um Taten, Autos etwas an den Rand zu schieben, drängelt sich Eigenwohl gern vors Gemeinwohl. Zu verlockend ist im Ländlichen Raum der bequeme Zugriff zum Auto am Haus. Festgezurrte Gewohnheiten. Die lockern Moralpredigten kaum, sondern verführerische Alternativen für Fußgänger, Radfahrer, öffentliche Verkehrsmittel. Die Verkehrswende braucht breiten Rückhalt in der Stadtgesellschaft. Kulturkämpfe entzweien. Etwa Auto- gegen Radfahrer. Viele nutzen beides.

Hinter unserem Haushaltsantrag, die Kosten für ein cooles Ein-Euro-Ticket im ÖPNV zu ermitteln, steckt solch ein Verführungsansatz. Besonders nützlich für die Teilorte. Der Erfolg in Radolfzell lässt hoffen. Im März werden wir schlauer.

Zur Digitalisierung

Die sozialen Medien zeigen den Fluch und Segen der Digitalisierung. Bei den hohen Summen im Haushalt bauen wir auf Segnungen. Stellen Sie sich nur mal vor, ukrainische Kinder könnten durch Simultanübersetzung über Künstliche Intelligenz dem Unterricht sofort folgen. Von der bürgerfreundlichen Digitalisierung Estlands sind wir noch Lichtjahre entfernt. Aber auch wir sollten Bürgerinnen und Bürgern immer mehr Dienstleistungen online anbieten.

Eine Segnung sehen wir in digitalen Zählern für die Energiewende. An ihnen kann man aktuelle Strompreise ablesen und elektrische Geräte entsprechend steuern. Solche Zähler sind für große Verbraucher wie unsere Stadt ab 2025 zulässig. Wir hatten überlegt, schon in diesem Haushaltsjahr die Kosten für solche smarten Zähler ermitteln zu lassen. Dann könnten wir 2025 gleich loslegen und Geld sparen.

Ein anderer Gedanke: In diesem Jahr beschließt das Land, was während Corona nur Ausnahme war: hybride Gemeinderatssitzungen. Hautnahe Präsenz ist natürlich unersetzbar. Doch berufliche und andere Lebensumstände wandeln sich und sind Hürden, Mandate wahrzunehmen. Hybride Sitzungen könnten die kommunale Demokratie bereichern

Zusammenleben

Gute Sozialpolitik stärkt Menschen, ihr Leben eigenverantwortlich zu meistern. Doch extrem Gebeutelte brauchen bedingungslos Hilfe. „Die Gesellschaft ist nur so gut, wie es ihren Schwächsten geht“, meinte Albert Schweitzer. Gottlob haben wir beim Zuschuss für die Wärmestube noch die Kurve gekriegt und damit auch Ehrenamt gestärkt.

In die gleiche Kerbe schlägt unser Antrag für die Stelle eines oder einer Seniorenbeauftragten. Auch hier wächst in einer alternden Gesellschaft der Hilfsbedarf. Bei der Bewältigung des Alltags, aber auch der seelischen Vereinsamung.

Bitter ist, dass wir uns kein städtisches Leerstands-Management leisten können. Das beackert, was der Markt nicht schafft: Leerstände ermitteln und mit Eigentümern nach Wegen suchen, diese fürs Wohnen zu mobilisieren. Auch hier: einiges zu tun. Nicht nur bei der Alten Feuerwache oder dem WKD-Gebäude. Und bedauerlich natürlich, dass der soziale Wohnungsbau auf der Spitalhöhe stagniert…

Zu Bildung und Kultur

Die Kosten für die Rottweiler Kitas ragen mit 9,2 Mio. € im Haushalt heraus – wir schultern sie gerne mit. Die neue Pisa-Studie ist ein Alarmsignal, sich der Bildungsmisere zu stellen. Grundsteine für Bildungschancen werden ganz früh gelegt: in Kitas und Grundschulen. Gut, dass auf unseren Impuls hin die Kita-Gebühren einkommensabhängiger wurden. Wir fragen uns dennoch: Werden in heterogenen Gesellschaften Kitas nicht zunehmend Bildungseinrichtungen, die das Land finanzieren müsste?

Uns freut, dass wir trotz schwieriger Zeiten an unserer beeindruckenden Vereins- und Kulturlandschaft keine Abstriche machen. Kultur ist eine Sehhilfe, die alle brauchen. Ohne Kultur schauen wir nur bis zum Zaun. Wir brauchen zur Orientierung aber den Blick weit darüber hinaus.

Was wir toll fänden? Etwa einen klimaneutralen Ferienzauber. Es gibt Festivals, die das anstreben. Klimaneutralität ist mehr als eine technische Frage. Es ist eine der Lebenskultur, die uns unserer Lebensgrundlagen bewusst werden lässt.

Zum Schluss

Wir danken herzlich allen, die diesen Haushaltsplan erstellt haben: Insbesondere der Kämmerei mit Herrn Oberstebrink. Ich bestaune Menschen, die sich in diesem Zahlendickicht souverän zurechtfinden. Ein weiterer Dank gilt allen in dieser Runde: Wir haben vernünftig beraten, Probleme zügig und konstruktiv gelöst. Ein Minibeitrag gelebter Demokratie gegen die miese Stimmungslage. Berlin kann sich davon eine Scheibe abschneiden.

Karl Valentin meinte mal: „Jedes Ding hat drei Seiten. Eine positive, eine negative und eine komische.“ Ich wollte aus unserer Warte Positives, aber auch unerfüllte Wünsche dieses Haushaltsplans anreißen. Sehen Sie die komische Seite darin, dass wir diesem Haushaltsplan trotzdem zustimmen.

Besten Dank für Ihre freundliche Geduld

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